Auf Norrbyskär von Bord gehen ist wie das erste Mal im Leben Airmax tragen. Ein Großteil des Bodens besteht nämlich aus Sägespänen, aber dazu später mehr.
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Norrbyskär - Von Sägewerk zu Sommerfrische.
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Norrbyskär liegt nicht weit vom Festland entfernt und gehört mit circa 70 anderen Inseln, Inselchen und Steinansammlungen zu den Norrbyskären. Die spannende, langgezogene und Nord-Süd-ausgerichtete Form haben die Inseln aus der Eiszeit, sie formten sich vor circa 10.000 Jahren. Heute wachsen sie, bedingt durch die Landhebung, mehr und mehr zusammen.
Von Norrbyn (circa 30 Kilometer südlich von Umeå gelegen) aus, kommen die meisten Besucher der Insel mit der Fähre herüber. Die Fähre braucht dafür ungefähr 15 Minuten. Wir segeln. Ich kenne Norrbyskär bislang nur aus Berichten von Freunden und habe auch darüber gelesen. Arne war schon ein paar Mal hier und hat zum Beispiel ein tolles Mittsommerfest erlebt.
Auch ich möchte diese spannende Insel kennenlernen. Hier gab es früher einmal das größte Sägewerk ganz Europas. Und Anfang des 20. Jahrhunderts galt der Hauptort der Insel als Musterbeispiel seiner Zeit.
Ankommen auf Norrbyskär
Als wir mit Kaja ankommen liegen vier andere Boote am Gaststeg. Arne lässt den Anker gleiten und John, witzigerweise ein Bekannter unserer Freundin Charlotte (mit der wir 2015 von Norwegen nach Russland gesegelt sind), nimmt unsere Leine in Empfang. Wir liegen neben seinem Twister. Ein weiteres Boot kommt noch nach uns. Ab dann nur noch Mücken. Erfreulicher als der Mückenbesuch ist die kostenlose gästbrygga. Nah bei gibt es zwei Plumpsklos und eine Infotafel. Kein Wasser, kein Strom. Alles simpel. So mögen wir das.
Vor dem Schlafengehen vertreten wir uns auf Norrbyskärs samtweichem Sägespanboden noch die Beine. Es riecht nach Gagelstrauch und wir folgen verschlungenen Wegen. Nordspitze und Ostseite sind steinig. Und von vielen Ameisen bevölkert. Die von der Jumbo-Sorte. Wir finden kleine Tümpel mit schnieken Pflanzen, Wasserläufern und Quappen. Und den alten, hölzernen Leuchtturm, den wir schon beim Heransegeln bestaunt haben. Vom Eis vor Jahrtausenden geglättete Felsen laden zum Sonnenbaden ein. Aber nicht heute. Die Temperaturen haben schon tagsüber um Zweistelligkeit gekämpft und jetzt zum Abend anscheinend aufgegeben. Es ist grau und windig und uns ziehts für die Nacht in die Kajüte.
Inselerkundung
Am nächsten Tag kommt O. aus Norwegen mit seiner Ketsch Don Pedro und seinem portugiesischen Wasserhund gleichen Namens an. Wir kennen die drei aus Holmsund und verbringen den Tag gemeinsam. O. kennt die Insel gut, er weiß viel zu berichten während wir gemeinsam über die Inseln schlendern. In meinem Kopf mischen sich die gelesenen, gehörten und selbst gefundenen Informationen...
Die Geschichte der Sägewerksinsel Norrbyskär
Gründer des Sägewerks auf Norrbyskär war Frans Kempe. Als sein Standort in Ångermanland zu klein und die Nachfrage nach Holzwaren zu groß für sein Unternehmen Mo och Domsjö wurde, schaute er sich nach einem neuen Standort um. Die Wahl fiel auf die ungenutzten Schären nahe Norrby. Der Grundstein für eine florierende Insel mit Schwerpunkt Sägewerksbetrieb war gelegt und in den 1890er Jahren baute er dort eine komplett funktionierende kleine Gesellschaft auf.
Die Planung war simpel: Jeder wohnte nahe seinem Arbeitsplatz. Die Bewohner mussten sich allerdings an eine lange Reihe von Regeln halten. Neben Alkohol, war zum Beispiel das Organisieren von größeren Treffen und alles was mit politischen Aktivitäten zu tun hatte verboten. Solche Dinge sollten nicht im Privaten stattfinden. Stattdessen gab es einen Rat, der sich aus Arbeitern zusammensetzte und solche Dinge besprach. Es gab eine Kranken- und eine Rentenkasse. Und Elektrizität in den Häusern - für die Zeit noch ungewöhnlich.
Um das Arbeiten auf der Insel für seine Angestellten noch attraktiver zu machen, kümmerte Kempe sich darum, dass nicht nur der Betrieb entstand, sondern zudem ein Ort, in dem sich die Menschen wohlfühlen und trotz Inselleben nichts vermissen sollten. Innerhalb kürzester Zeit entstanden Häuser und Wohnungen, Schule, Kirche, Krankenpflege, Waschküchen und Werkstätten. Auch an genug Flächen für das Anlegen von Gärten und für den Gemüseanbau wurde gedacht und was man nicht anbauen konnte, wurde im Laden oder in der Bäckerei besorgt. Für das Freizeitvergnügen standen Sportarten, eine Bibliothek und ein Kino zur Verfügung.
Die Abgeschiedenheit der Insel gab Kempe die Möglichkeit das Sozial- und Konsumverhalten der Einwohner zu kontrollieren. Alles lebte nach seinen Vorstellungen und Vorschriften. Der Plan war die „ideale Gesellschaft“, die sich zu großen Teilen selbst versorgte. Die Männer arbeiteten mit dem Holz, die Frauen schmissen den Haushalt und hatten eventuell noch einen Nebenjob - meistens etwas der Sparte Handarbeit, mit Wolle oder Stoff.
Nach der Blütezeit des Sägewerks (20er und 30er Jahre) nahm irgendwann die Nachfrage ab und 1952 musste geschlossen werden. Einige wenige Bewohner verblieben auf der Insel, aber die Gebäude begannen zu verfallen. Trotz etwas Zulaufs in den 70ern, hatten die Familien es schwer und als dann auch noch der Fährbetrieb eingestellt wurde, war das Leben auf der Insel fast unmöglich.
Norrbyskär heute
Heute sieht das schon wieder ganz anders aus. Solang das Meer eisfrei ist, verkehren Fähren, einige Wenige leben ganzjährig auf Norrbyskär und viele Familien haben dort eine stuga, ein Ferienhaus. Die Insel ist ein beliebter Ausflugsort geworden und bei Schweden fast noch beliebter als bei ausländischen Touristen.
Es gibt ein Ferienlager mit Hochseilgarten, ein Hotel mit schickem Restaurant (das Wärdshus, es war früher Verwaltervilla), das Norrbyskärs Museum und allerhand kinderfreundliche Attraktionen.
Obwohl die Insel ein beliebtes Tagesausflugsziel ist, ist sie nicht überfüllt. Jedenfalls nicht, während wir da sind. Wir können in Ruhe umher schlendern und uns umsehen. Die verfallenden Industrierelikte der alten Zeiten bestaunen und die schick wieder hergerichteten Gebäude betrachten. Das weiße Wärdshus strahlt in der Sonne und teure, neue Motorboote legen davor an. Deren Insassen kommen zum Essen oder auf ein Eis auf die Insel.
Knotenpunkt, vor allem für Touristen, ist das Norrbyskärs Museum. Hier wird das Leben auf der Insel in einer Dauerausstellung gezeigt, es gibt ein Café fürs Fika und ein Sägewerksbuffet für den größeren Hunger. Hier starten geführte Touren und auch die kleine Bahn, mit der man sich die Insel anschauen kann. Untergebracht ist all das in der alten Maschinenhalle, einem riesigen roten Backsteingebäude.
Gleich gegenüber des Museums liegt „Lilla Norrbyskär“: Teile der Insel wurden im Kleinformat nachgebaut. Nur für Kinder, Erwachsene dürfen nicht mit. Überhaupt gibt es viel für Kinder und Jugendliche zu tun auf der Insel. Überall liegen verschiedene Arten von Booten, es gibt Sportplätze, den Hochseilgarten mit einer grandiosen Seilbahn und einen riesigen Boulder- und Kletterturm.
Vom Museum und Lilla Norrbyskär aus, wandeln wir die Långgrundgata entlang. Sie macht ihrem Namen auf die Länge bezogen alle Ehre. Schnurstraks führt sie an immer gleich aussehenden früheren Arbeiterhäusern vorbei. An ihrem Ende liegen Schule und Kirche. Nach einem Abstecher zu den östlichen Inselteilen Stengrundet und Blågrundet (hier ist der Abenteuerbereich der Insel) machen wir uns wieder auf den Heimweg. Über Norrbyskär und Stuguskär laufen wir nach Kalmarn. Dort befindet sich der Gaststeg und dort warten nicht nur Kaja und Don Pedro, sondern auch noch ein beeindruckender Sonnenuntergang auf uns.
Abreise
Nach einem prall gefüllten Tag der Inselerkundung und dem Kennenlernen seiner Geschichte, werfen wir nur noch schnell den Trangia an, um eine Kleinigkeit zu essen, bevor wir uns in die Schlafsäcke kuscheln. Morgen ist auch noch ein Tag.
Und dieser plätschert mit viel Kaffee und ohne großen Tatendrang so vor sich hin. Wir sind keine Frühaufsteher. Kaja gluckst fröhlich. Irgendwann brechen die Wolken auf und der Wind ist günstig. Bis auf Kaja und Don Pedro ist der Gastanleger Norrbyskärs schon leergefegt. O. präsentiert uns sein Boot samt Gadgets. Und natürlich gibt er auch die gebührenden Komplimente für Kaja ab: Baustil, Schlichtheit, Bootsorganisation und sowas betreffend. Irgendwann ist es dann soweit und wir verabschieden uns. O. und die beiden Don Pedros wollen weiter. Und auch wir fangen an, uns Gedanken über den nächsten Abschnitt unserer Tour zu machen...
Segelinfos für Norrbyskär: Heransegeln, Anlegen, Ankern
Früher war Norrbyskär ein kleines Segelsportzentrum der Region - nicht zuletzt durch die Segelschule des KFUM´s und des geräumigen Anlegers am Wärdshus. Die Bar des Hotels besteht aus einem alten Schärenkreuzer, der seinerzeit auf den Regattabahnen Ruhm und Ehre sammelte. Noch heute segeln mehrere Nachbauten desselben umher. Viele Jahre lang gab es die Norrbyskär rund Regatta. Diese gibt es jetzt nicht mehr, aber es zieht immer noch Segler auf die Insel.
Wer wie wir von Norden kommt, findet einen gut geprikten Weg durch die tückischen Riffs und Inselchen. Von Süden nähert man sich der Insel durch den Örefjärden. Eindeutige Betonnung und Leuchttürme ermöglichen auch hier eine sichere Einfahrt.
Wer es bequem und fancy mag, oder auch einfach eine Dusche braucht, der legt am großen Gaststeg vor dem Wärdshus an. Hier gibt es Toiletten und Duschen und das Restaurant mit Hotel direkt nebenan. Hier muss eine Liegegebühr bezahlt werden. Das macht man im Hotel. Es gibt gute Vertäuungsmöglichkeiten, kräftiger südwestlicher Wind kann den Besuch allerdings zu einer Nervenprobe werden lassen.
Ruhiger und günstiger, nämlich kostenlos, kann man auf Kalmarn ganz im Norden der Inselgruppe anlegen. Mit Heckanker vertäut man gegen einen funktionalen Steg (er hält, auch wenn er sich biegt und windet!) in der ruhigen Bucht. Hier gibt es Plumsklos und großartige Sonnenuntergänge.
Mit etwas Mut und Entdeckergeist kann man bei Tannskär oder in der Bucht westlich des Kalmarn am Ufer vertäuen. Es liegen allerdings überall halb oder ganz gesunkenes Holz, alte Stege und Wracks alter Frachtbote herum.
Der Bereich zwischen den Inseln ist offiziell nicht vermessen. Man muss sich also auf Bauchgefühl oder Handlot verlassen, wenn man diesen Bereich erkunden will.
Mehr Infos zu Norrbyskär
Text: Rike Jütte
Fotos: Arne Gerken und Rike Jütte
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