Ich bin im Cockpit. Der Wind streicht mir mit kalter Luft über Gesicht und Hände. Ich fröstele, während sich meine Lungen mit Sauerstoff füllen.
Um mich herum: Wasser.
Und Himmel. Eine blaue Welt. Nichts anderes. Kein Land in Sicht. Das Boot ist für den Moment mein Land. Trägt
mich, hält mich und gibt mir das Gefühl, einen Boden unter den kalten Füßen zu haben. Oder zumindest einige Meter Boden. Denn darunter ist es schließlich wieder: Das Wasser. Pouncer fliegt
friedlich darüber hinweg.
Ich stehe gelegentlich auf und lasse meinen Blick den Horizont entlang wandern. Halte Ausschau nach anderen Schiffen. Aber da sind keine. Der Wind lässt den Mast singen und die traurig-schöne Melodie mischt sich mit dem Rauschen der Bugwelle und dem Schlagen der Segel. Die Windsteueranlage hält uns auf Kurs und ich kann meinen Gedanken nachhängen. Schaue dabei auf das Meer.
Eigentlich bin ich nie eine richtige Wasserratte gewesen. Nicht, dass ich im Freibad, am See oder am Meer keinen Spaß gehabt hätte. Aber es waren immer die Dinge um das Wasser herum, auf die es mir ankam: Die Menschen mit denen man zusammen ist, das Spiel das gespielt oder das Buch das gelesen wird.
Beim Segeln ist das anders. Das Wasser ist, in Kombination mit dem Wetter, das was wirklich wichtig ist. Es will beachtet und beobachtet werden. Respektiert. Alles dreht sich darum.
2014 habe ich zum ersten Mal ein Segelboot betreten, mit dem es auch aufs Wasser gehen sollte. Auf Schiffen war ich vorher schon. Auf Fähren. Auf Museumsbooten. Und auch schon mal in einem
Tretboot. Aber ein Segelboot ist etwas ganz anderes.
Meine Segelerfahrung belief sich auf kleine Nachmittags- und Abendrunden. Alle kaum länger als einige Stunden. Und trotzdem habe ich zugesagt, als mir angeboten wurde, bei einem Langstrecken-Turn dabei zu sein. Vielleicht, weil mir gar nicht bewusst war, was das bedeutet. Vielleicht, um mir
etwas zu beweisen. Vielleicht, weil ich dachte: So eine Chance bekommst du nicht noch einmal im Leben.
Das Segeln. Es ist aufregend. Und vielschichtig. Mal ruhig. Mal stressig. Mal
angsteinflößend und mal beruhigend.
Ungewohnt fehlt noch in der Aufzählung. Vieles läuft an Bord so anders ab, als auf dem Land. Wie viel Sicherheit es einem gibt, Land um sich herum zu sehen, wird erst deutlich, wenn das nicht
mehr der Fall ist. Zeitweise ist es unangenehm daran zu denken, wie tief es unter dem Kiel nach unten geht. Was sich dort befinden mag.
Und dann gibt es wieder Momente, in denen es keine Gedanken solcher Art gibt. Momente, die einfach nur genossen werden. Wenn es um das Boot herum gurgelt und gluckst, die Abendsonne das Meer rot färbt, sich der Kopf einer Kegelrobbe, mit Nase voran, aus dem Wasser schiebt, dann haben Angst oder Unmut keinen Platz.
Es gibt aufregende Momente, wenn es stürmt und regnet, die Wellen sich aufbauen wie Türme und jemand an Deck Arbeiten erledigen muss, die mir Angst machen. Die aber, sobald das Boot wieder friedlicher wird, ein ganz besonderes Gefühl der Zufriedenheit nach sich ziehen.
Vor dem Trip habe ich mir Sorgen gemacht, ob er mir das Segeln ans Herz legen, oder es mir für alle Zeit vermiesen würde. Während des Trips war ich mir nicht sicher. Nach dem Trip bin ich
es.
Die Tage auf See haben mir vieles bewusst gemacht. Vieles zum Nachdenken gegeben. Ließen mich wissen, dass ich „seetauglich“ bin. Und sie haben mir Lust gemacht. Lust mehr zu lernen, mehr zu
segeln und mehr zu entdecken.
Ich will wieder im Cockpit stehen. Den Wind mit kalter Luft über Gesicht und Hände streichen lassen. Frösteln, während sich meine Lungen mit Sauerstoff füllen.
Um mich herum: Wasser.
Text: Rike Jütte
Fotos und Videos: Arne Gerken und Rike Jütte
Zum Weiterlesen.
- Segeltrip 2015: Zusammenfassung der Skandinavien Umsegelung
- Survival Suit up! Wir testen Überlebensanzüge
- Das Weiße Meer, die Solowetzkis und der Heimweg über Finnland nach Schweden
- Auszug aus dem Segeltagebuch (2017)
- Vom Anlegen an einsamen Inseln
Danke fürs Lesen!
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